Neue Wege – so könnten sie aussehen:

Erfahre hier die Geschichte von Papa L.:
„Wie fange ich meine Geschichte an?“, dies habe ich mich lange gefragt. Am besten von vorne, von ganz vorne…

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Kurz zu mir, ich heiße L. und bin mittlerweile 42, habe 3 liebe Kinder, H.(w) 12 Jahre, A.(m) 10 Jahre, V.(w) 8 Jahre. Seit Januar 2003 bin ich von meiner Frau H. geschieden, in beiderseitigem, von einer Mediation begleitetem Einverständnis.

Angefangen hat „es“ eigentlich ganz plötzlich, wenn man die zeit vorher mit Fantasien und Träumen, die ich nicht einzuordnen wusste, mal nicht dazurechnet. Auf einer Geburtstagsparty, ich war selbst damals gerade 38, habe ich mit zwei weiteren Gästen im selben Zimmer übernachtet. Mir war schon den ganzen Abend flau im Magen, irgendwie undefinierbare Gefühle hatten mich ergriffen, als ich festgestellt hatte, der Gastgeber ist schwul. Nun gut. Ich konnte nicht einschlafen, und als meine schwulen Mitgäste im Zimmer dies bemerkten, machten sie Licht an und luden mich in ihr Bett zum Kuscheln ein. Ich konnte nicht anders und nahm die Einladung an. Nach dieser Nacht wusste ich viel neues über mich und meine Träume und Fantasien.

Und ich hatte vor, es sofort meiner Frau zu erzählen, so schwebte ich auf „Wolke 7“. Was ich abends dann auch tat. Ich habe sie völlig überfordert, dabei war ich der Meinung, dass es mit unserer Beziehung gar nichts zu tun hätte, es sei ja nur reine sexuelle Befriedigung und unsere Liebe berühre das nicht. Ich konnte mir tatsächlich vorstellen, einerseits meine Beziehung zu meiner Frau unverändert weiterzuleben, meine Rolle in der Familie als Hausmann und erziehender Vater zu erfüllen, und dazu meine neue sexuelle Orientierung, mein Schwulsein, auszuleben.

Das dies nicht so einfach ging wie ich mir das anfangs vorgestellt hatte, war spätestens dann klar, als meine Frau damit Probleme hatte, mich mit einem Mann zu teilen. Nach 2 Monaten viel Redens und vielen feuchten Taschentüchern beiderseits, entschlossen wir uns, einen Paartherapeuten aufzusuchen. Ich wollte meine Familie nicht verlieren, aber das Schwulsein leben, sie wollte mich nicht verlieren, kam aber mit der neuen Situation nicht klar. Nach einem völligen Fehlschlag fanden wir „unseren“ Psychologen bei der Aidshilfe in Stuttgart. Über gut 1 Jahr waren wir fast alle 2-3 Wochen dort und haben unser Innerstes nach Außen gekehrt. Es brachte uns in der Entwicklung weiter, wir wurstelten nicht alleine herum.

Nach einem Jahr weihten wir unsere Kinder ein, deren Reaktion sehr locker und cool war. Und bis heute ist. (Sie gehen regelmäßig auf die CSD-Parade mit mir in der Vätergruppe) Mein Verhältnis zu ihnen hat sich auch deshalb nicht geändert, weil ich mich nicht geändert habe. Ich war genauso für sie da wie vorher.

Und mit der Zeit öffneten wir uns auch der Umwelt mit unserer Situation, erst guten Freunden und dann auch der Verwandtschaft, mit dem Ergebnis, dass es bis auf ganz wenige Ausnahmen nur positive Reaktionen gab, ja sogar bei manchen damit eine Reaktion des „sichauchöffnens“ ausgelöst wurde. Geändert hat sich dann aber ganz entscheidend das Verhältnis zu meiner Frau. Nach anfänglicher erhöhter sexueller Aktivität war nach einem 3/4 Jahr der Punkt der Wende da. Meine Frau löste die Umklammerung um mich, sie nahm ihr Leben aktiv in die Hand. Und das hörte nicht beim sexuellen auf. Nach Problemen an ihrem Arbeitsplatz entschloss sie sich, 150km entfernt ein neues Leben zu beginnen. Die Kinder und ich blieben erst mal 1 Jahr zurück. Ich hatte damals schon einen festen Freund, den meine Frau und die Kinder kannten.

Durch den Umzug war die Trennungsphase eingeläutet, sie hatte zwischenzeitlich auch einen neuen Mann kennengelernt (durch das Internet, wie das heutzutage ja üblich ist). Und so lebte jeder sein Leben, die Kinder bei mir. Alle 2 Wochen fuhren sie mit der Bahn zur Mutter nach Freiburg, machten mal mit der Mutter oder mit mir und meinem Freund Urlaub. Es fiel ihnen anfangs nicht leicht, zu verstehen, warum wir nicht mehr zusammenleben konnten, aber durch offene Gespräche und das Erfahren der Situation haben sie sich daran gewöhnt. Und das wichtigste: die Angst, Mutter oder Vater zu verlieren, haben sie verloren. Und seit einem Jahr leben sie bei der Mutter und ihren neuen Lebenspartner in Freiburg. Unsere/meine Situation ist nicht anders wie bei vielen Familien nach einer Scheidung, nur dass es bei uns harmonisch abläuft. Dies habe ich nicht zuletzt dem Verständnis und der Toleranz meiner Frau zu verdanken, ohne die es nicht zu schaffen ist.


… eine andere Geschichte:
Ich bin ein schwuler (oder bisexueller ?) Vater. Ich bin seit über 8 Jahren verheiratet und habe zwei Söhne.

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Vor einem halben Jahr hatte ich das erste Mal Sex mit einem Mann. Es ist ein (schwuler) Kollege, der selbst in einer 14jährigen Beziehung mit einem Mann steckt aber seinem Partner vor kurzem offenbarte, daß er einen Liebhaber hatte, also mich. Seit dem kriselt es in dieser Beziehung. Die Beziehung zwischen dem Kollegen und mir ist seit Anfang November beendet. Grund: ich habe meiner Frau alles erzählt. Für mich war es so, daß ich es nicht „als Betrug/Fremdgehen“ angesehen habe, sondern als „etwas anderes“.

Natürlich ist seitdem nichts mehr, wie es einmal war. Meine Frau und ich sind oft am heulen, wissen nicht, was wir tun können, wie wir uns verhalten sollen bzw. wie es weitergehen wird. Die Stimmung ist entsprechend schlecht. Allerdings gibt es auch wieder gute Tage und Hoffnung. Doch plötzlich kommt wieder ein Gewitter mit Frust, Aggression, Trauer, Wut, Verletztheit, Hoffnungslosigkeit usw. -bei meiner Frau. Ich selbst schwebe „wie in Trance“ und bemühe mich, im Alltag so gut es geht durchzukommen.

Ein paar wenige gute Freunde sind eingeweiht und entsprechend „geschockt“. Können meine Frau und ich Hoffnung für eine weitere gemeinsame Zukunft mit den Kindern im eigenen Haus haben oder ist der Drang nach dem gleichen Geschlecht, den ich habe, so stark bzw. entscheidend, daß die Basis für eine gemeinsame Ehe verloren geht?

Muß ich meine Neigung ausleben, obwohl ich „diesen Schalter“ am liebsten ausmachen möchte? (im Moment habe ich nämlich keinerlei Verlangen nach einem Mann, allerdings auch nicht nach meiner Frau. Das Verlangen nach meiner Frau ist in den letzten Jahren zurückgegangen, im letzten halben Jahr während der Beziehung zu dem Mann, war es gleich „null“)

Bücher zum Thema Bisexualität haben wir auch schon gelesen. Die Geschichten sind immer wieder interessant aber auch erschreckend. Seit 2 Wochen sind wir auch in einer Paartherapie.

Wochen später:
Natürlich hat sich in der Zwischenzeit einiges verändert. Ich fühle mich so ziemlich 100%ig schwul und meine Frau und ich wissen, daß wir unsere Ehe nicht mehr fortführen können. Das geht einfach nicht mehr! Sie möchte „als Frau“ geliebt und begehrt werden. Ich kann ihr das allerdings nicht mehr bieten. Wir verstehen uns natürlich nach wie vor sehr gut, aber auf einer „anderen Ebene“ und meine Frau versucht, ihren geliebten Mann nun „aus ihrem Herzen“ herauszulassen, was nicht so einfach ist. Und natürlich haben wir noch viele andere Dinge zu bewältigen. Es ist ja nichts mehr, so wie es war. Wir sind auch überein gekommen, daß wir so schnell wie möglich eine räumliche Trennung haben müssen. Deshalb suche ich seit einigen Tagen nach einer geeigneten Wohnung und habe schon ein paar angeschaut. Danach geht es mir immer nicht so gut, denn man wird doch deutlich daran erinnert, daß sich bald ein ganz anderes Leben ergeben wird. Im Grunde genommen, möchten wir das alles nicht, leiden sehr darunter, daß es in unserer Ehe/Familie so weit gekommen ist, aber daß wir nicht anders handeln können, um unsere Selbstachtung zu bewahren. Es ist unglaublich, was mit meinem coming out alles so ins Wanken kommt und sich verändert und ich muss sagen, wir stehen erst ganz am Anfang. Es wird noch lange Zeit viele Probleme (mit den Kindern, mit dem soz. Umfeld, finanziell?, der Psyche usw.) geben und ganz ganz viele Tränen. Bei allen, die uns am Herzen liegen.

Ich habe wohl noch etwas vergessen, was erklärt, warum es bei uns so rasant geht. Dies liegt daran, daß ich mich von dem Kollegen nicht wirklich lösen konnte und er nicht von mir. Obwohl wir uns erstmal offiziell im November „trennten“ bzw. voneinander fern hielten, hatten wir natürlich weiterhin beruflichen Kontakt und dabei natürlich auch private Gespräche. Sexueller Kontakt fand nicht statt. Da „er“ aber täglich für mich präsent ist, sagte meine Frau und die Therapeuten, daß ich mich zwar äußerlich von ihm getrennt habe, aber nicht innerlich.

Auch hier wäre eine komplette Trennung erforderlich (Kündigung?), um für die Ehe noch eine Chance zu haben. Doch ich konnte das nicht. So waren wir auch letzte Woche auf einer Messe intim, obwohl ich das eigentlich gar nicht wollte. Ich habe mir gar nichts dabei gedacht! Meine Frau und ich haben zuvor vereinbart, daß, wenn ich dies tun würde, wir sofort auch die Schlafstätte trennen. Seither schlafe ich im Wohnzimmer auf einer Matratze. Ich hätte ihr auch sagen können, daß auf der Messe nichts lief, aber ich bin ein sehr ehrlicher Mensch und wollte einfach auch offen sein.

Ich war diese Woche auch in einer Einzeltherapie bei einem Therapeuten. Diese mache ich zusätzlich zur Paartherapie. Ich habe dem Therapeut sehr viel erzählt, es sprudelte nur so aus mir raus. Ich wollte einfach, daß er viel von mir weiss, und bei den nächsten Sitzungen mehr von sich aus fragen und handeln kann. Am Schluß des Gespräches sagte er zu mir: sie sind ein sehr offener und mutiger Mann. Das war eine schöne Aussage.

Offen bin ich schon immer, mutig allerdings nicht unbedingt, insbesondere aber in diesem Thema. Trotzdem habe ich große Angst vor der Zukunft, die sich drastisch ändern wird.

Voraussichtlich stellt es sich so dar (in grober Form ausgedrückt): unter der Woche arbeiten, an einem Wochenende die Kinder, am anderen Wochenende den neuen Partner (der ja 500 km entfernt wohnt). Ob das gut geht? Ich hoffe es, und daß meine Frau und ich Freunde bleiben bzw. werden.


Andere Perspektive – neue Wege aus der Sicht der Kinder:

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Interviewer (I): Wie alt warst du als du erfuhrst, dass dein Vater schwul ist?
Kind (K): mit 13 Jahre

(I) Wer hat es dir offenbart und wie?

(K) Mein Vater hat mich zur Seite genommen, hat mir mitgeteilt, dass er und meine Mutter sich trennen wollen, nur beiläufig erwähnte er dabei, dass er in eine schwule Vätergruppe ginge. Direkt hat er es mir nicht gesagt. War mir in diesem Moment auch gar nicht so wichtig. Hatte auch keine so richtige Vorstellung was Schwulsein bedeutet.

(I) Was ging dir dabei durch den Kopf? Was denkst du: setzt man(n) sich mit dem Thema Homosexualität mehr auseinander als sonst, wenn der Vater schwul ist?

(K) Wie schon erwähnt, mit 13 Jahren habe ich erfahren, dass mein Vater schwul ist. Für mich war diese Tatsache erst so mit 16/17 Jahren relevant, mich damit auch persönlich auseinander zu setzen, aber ich glaube auch nicht mehr als andere Jungendliche in diesem Alter.

Was mich mehr erschrocken hat, war die Tatsache, dass sich meine Eltern trennen wollten. Ich habe nämlich nicht damit gerechnet, obwohl ich die Spannungen zwischen ihnen gespürt habe, die hin und wieder mit Wutausbrüchen endeten. Es war unerträglicher als heute, wenn sie zusammen sind.

Ich muss jedoch eingestehen mir geht es gar nicht so schlecht, es war für mich weniger einscheidend, denn obwohl meine Eltern mittlerweile geschieden sind, leben sie bis heute (Gott sei Dank) unter einem Dach. Mein Papa ist ja in der Einliegerwohnung

(I) Wie denkst du heute darüber?

(K) Ich habe keine Probleme mit der Homosexualität meines Vaters. Er soll sein Leben leben wie er es für richtig erachtet. Wichtig ist für mich, ihn nicht zu verlieren als Wegbegleiter für mich. Ich habe auch keine Problem, wenn ich dessen schwule Bekannten/Freunde begegne und kennenlerne.

(I) Wie hast du damals die Reaktion deiner Mutter erlebt?

(K) Was die Homosexualität betrifft, so kam sie nicht zur Sprache. Auch Vater hat kaum mehr darüber gesprochen (sondern es eher gelebt). Es war eine zeitlang mehr oder weniger Tabu. Erst später als Vater einen Freund mit nach Hause brachte, hat sich das geändert. Mutter hat auch hin und wieder gefrotzelt, kleine Sticheleien hinsichtlich seiner geänderten sexuellen Präferenzen, konnte sie sich nicht verkneifen.

(I) Angenommen dein Vater hätte sich in eine andere Frau verliebt.

(K)Für mich persönlich wäre dies kein wesentlicher Unterschied gewesen

(I) Wie würdest du das Verhältnis momentan zwischen deinen Eltern beschreiben?

(K) Ich finde, sie verstehen sich besser als vor der Trennung, es ist eher ein freundschaftliches Verhältnis entstanden. Mutter hat einen Freund, der versteht sich ganz gut mit Papa.

(I)Dein Vater hatte einen Freund gehabt, wie hast du diese Zeit erlebt?

(K)Anfangs hatte ich Angst an 2ter Stelle zu rücken, ich sah in als Konkurrenten. Dies hat sich jedoch nicht bewahrheitet. Natürlich sah ich ihn seltener….

(I)hättest du dir vorstellen können, mit den beiden in einer Hausgemeinschaft zusammen zu leben?

(K) Prinzipiell ja, nur bei diesem Freund hätte ich es mir nochmals überlegt

(I) Wie reagierte das nähere Umfeld (z.B. Nachbarschaft, Verwandtschaft)?

(K)Ich bin eigentlich von niemanden diesbezüglich angesprochen worden. Nur die Oma wollte von mir den Grund der Trennung wissen. Habe es aber keineswegs als meine Aufgabe gesehen sie aufzuklären. Mittlerweile weiß es die Verwandtschaft.

(I) Wie reagierten deine Freunde, die es wissen bzw. wie offen gehst du selber damit um?

(K) Meiner Exfreundin habe ich es erzählt, anderen Freunden nicht , ich vermute, dass sie es dennoch wissen – keiner fragt nach

(I) Wie reagierst du auf Schwulenwitze?

(K) Die meisten kenne ich sowieso von Vater – das ist wirklich witzig. Auch wenn andere sie vortragen, gehe ich locker damit um.

(I)Was gefällt dir an deinem Vater besonders gut?

(K)Seine Verlässlichkeit, ich kann ihm viele Dinge anvertrauen, er hört mir zu, er ist für mich da, wenn ich ihn brauche.

(I)Woran würdest du erkennen, dass dein Vater frisch verliebt ist?

(K) er wirkt gelassener als sonst, die Musik ist lauter, singt viel und vor allem laut.

(I) Was macht ihn speziell wütend?

(K) Wenn Menschen unzuverlässig sind.

(I)Das Interview fand zu Hause bei Vater und Sohn statt. Vater war anwesend, hielt sich sehr im Hintergrund. Das Gespräch war von Offenheit und Vertrauen zueinander geprägt. Ich bedanke mich für die Bereitschaft und die Zeit, die sich beide dafür genommen haben.